1、Brief an den VaterBrief an den VaterLiebster Vater,Du hast mich letzthin einmal gefragt, warum ich behaupte, ich htte Furcht vor Dir. Ich wusste Dir, wie gewhnlich, nichts zu antworten, zum Teil eben aus der Furcht, die ich vor Dir habe, zum Teil deshalb, weil zur Begrndung dieser Furcht zu viele Ei
2、nzelnheiten gehren, als dass ich sie im Reden halbwegs zusammenhalten knnte. Und wenn ich hier versuche Dir schriftlich zu antworten, so wird es doch nur sehr unvollstndig sein, weil auch im Schreiben die Furcht und ihre Folgen mich Dir gegenber behindern und weil berhaupt die Grsse des Stoffs ber m
3、ein Gedchtnis und meinen Verstand weit hinausgeht.Dir hat sich die Sache immer sehr einfach dargestellt, wenigstens soweit Du vor mir und, ohne Auswahl, vor vielen andern davon gesprochen hast. Es schien Dir etwa so zu sein: Du hast Dein ganzes Leben lang schwer gearbeitet, alles fr Deine Kinder, vo
4、r allem fr mich geopfert, ich habe infolgedessen in Saus und Braus“ gelebt, habe vollstndige Freiheit gehabt zu lernen, was ich wollte, habe keinen Anlass zu Nahrungssorgen, also zu Sorgen berhaupt gehabt; Du hast dafr keine Dankbarkeit verlangt, Du kennst die Dankbarkeit der Kinder“, aber doch weni
5、gstens irgendein Entgegenkommen, Zeichen eines Mitgefhls; statt dessen habe ich mich seit jeher vor Dir verkrochen, in mein Zimmer, zu Bchern, zu verrckten Freunden, zu berspannten Ideen; offen gesprochen habe ich mit Dir niemals, in den Tempel das ist Kindespflicht ich wollte solche Erklrungen schr
6、eiben Milena, aber ich bringe es nicht ber mich den Brief darauf hin noch einmal zu lesen, die Hauptsache bleibt ja verstndlich bin ich nicht zu Dir gekommen, in Franzensbad habe ich Dich nie besucht, auch sonst nie Familiensinn gehabt, fr das Geschft und Deine sonstigen Angelegenheiten habe ich mic
7、h nicht gekmmert, die Fabrik habe ich Dir aufgehalst und Dich dann verlassen, Ottla habe ich in ihrem Eigensinn untersttzt und whrend ich fr Dich keinen Finger rhre (nicht einmal eine Teaterkarte bringe ich Dir) tue ich fr Freunde alles. Fasst Du Dein Urteil ber mich zusammen, so ergibt sich, dass D
8、u mir zwar etwas geradezu Unanstndiges oder Bses nicht vorwirfst (mit Ausnahme vielleicht meiner letzten Heiratsabsicht), aber Klte, Fremdheit, Undankbarkeit. Undzwar wirfst Du es mir so vor, als wre es meine Schuld, als htte ich etwa mit einer Steuerdrehung das Ganze anders einrichten knnen, whrend
9、 Du nicht die geringste Schuld daran hast, es wre wre denn die, dass Du zu gut zu mir gewesen bist.Diese Deine bliche Darstellung halte ich nur soweit fr richtig, dass auch ich glaube, Du seist gnzlich schuldlos an unserer Entfremdung. Aber ebenso gnzlich schuldlos bin auch ich. Knnte ich Dich dazu
10、bringen, dass Du das anerkennst, dann wre - nicht etwa ein neues Leben mglich, dazu sind wir beide viel zu alt, aber doch eine Art Friede, kein Aufhren, aber doch ein Mildern Deiner unaufhrlichen Vorwrfe.Irgendeine Ahnung dessen, was ich sagen will, hast Du merkwrdiger Weise. So hast Du mir z. B. vo
11、r Kurzem gesagt: ich habe Dich immer gern gehabt, wenn ich auch usserlich nicht so zu Dir war wie andere Vter zu sein pflegen, eben deshalb weil ich mich nicht verstellen kann, wie andere.“ Nun habe ich, Vater, im Ganzen niemals an Deiner Gte mir gegenber gezweifelt, aber diese Bemerkung halte ich f
12、r unrichtig. Du kannst Dich nicht verstellen, das ist richtig, aber nur aus diesem Grunde behaupten wollen, dass die andern Vter sich verstellen, ist entweder blosse, nicht weiter diskutierbare Rechthaberei oder aber - und das ist es meiner Meinung nach wirklich - der verhllte Ausdruck dafr, dass zw
13、ischen uns etwas nicht in Ordnung ist und dass Du es mitverursacht hast, aber ohne Schuld. Meinst Du das wirklich, dann sind wir einig.Ich sage ja natrlich nicht, dass ich das, was ich bin, nur durch Deine Einwirkung geworden bin. Das wre sehr bertrieben (und ich neige sogar zu dieser bertreibung.)
14、Es ist sehr leicht mglich, dass ich, selbst wenn ich ganz frei von Deinem Einfluss aufgewachsen wre, doch kein Mensch nach Deinem Herzen htte werden knnen. Ich wre wahrscheinlich doch ein schwchlicher, ngstlicher, zgernder, unruhiger Mensch geworden, weder Robert Kafka, noch Karl Hermann, aber doch
15、ganz anders, als ich wirklich bin und wir htten uns ausgezeichnet mit einander vertragen knnen. Ich wre glcklich gewesen, Dich als Freund, als Chef, als Onkel, als Grossvater, ja selbst (wenn auch schon zgernder) als Schwiegervater zu haben. Nur eben als Vater warst Du zu stark fr mich, besonders da
16、 meine Brder klein starben, die Schwestern erst lange nachher kamen, ich also den ersten Stoss ganz allein aushalten, dazu war ich viel zu schwach. Vergleiche uns beide: ich, um es sehr abgekrzt auszudrcken, ein Lwy mit einem gewissen Kafkaschen Fond, der aber eben nicht durch den Kafkaschen Lebens-, Geschfts-, Eroberungswillen in Bewegung gesetzt wird, sondern durch einen Lwyschen Stachel,
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